Grenzland Advaita

Edi Mann   Kunst & Schrift


Die 4 Phasen des Phönix


1. Der grüne Phönix

In dieser meiner ersten Phase erwecke ich den Menschen zu seinem eigentlichen Menschsein, indem ich ihn überhaupt erst mit dem Bewusstsein des Adlers verbinde. Ich ermögliche ihm durch meine grüne Struktur das Bewusstwerden seiner Außenwelt, womit er fortan zwischen sich und seiner Umwelt unterscheiden kann. Er lebt zwar noch Ichlos in seiner absoluten Raum- und Zeitlosigkeit, noch ganz eingeflochten in die Natur, aber er kann jetzt auf die ihm langsam bewusst werdenden Naturkräfte mit eigenen Kräften, mit tätigem Machen, mit Magie reagieren. Deshalb bezeichne ich diese Phase als Magische Phase.

Während dieser Epoche leite ich den Menschen überwiegend durch ein emotional gesteuertes Trieb- und Instinktbewusstsein, das ihn einzelne Bilder oder Ereignisse bewusst werden lässt. Für ihn gibt es noch keine zusammenhängende Welt, sondern nur einzelne Erscheinungen oder Ereignisse, die ihm nun bewusst werden. Und zwar weniger als Bild, sondern vielmehr als wirkendes Kraftfeld. Auf diese Kräfte reagiert er dann, sie immer für das Ganze haltend. Es ist noch eine rudimentäre punktuelle Wahrnehmung, jedoch ein großer Fortschritt seiner bewusstlosen Zeit gegenüber.

Alles ihm Erscheinende bezieht er auf sich selbst, was in dieser Phase auch gewollt und richtig ist, da ihm ein größerer Überblick nicht gegeben ist. Da ich noch überwiegend von außen auf ihn einwirke kommt es dem Menschen so vor, als ob die Dinge ihn betrachten, sich ihm bemerkbar machen. Er lebt sein Leben in einer animierten Welt, die Notiz von ihm nimmt und mittels Kräften auf ihn einwirkt. 

In dieser Phase ist es überwiegend der Hörsinn, dem er vertraut, da dieser die stärkste Verbindung zu seiner Umwelt darstellt. Er beginnt sich ja langsam von der Natur zu lösen, was eine Notwendigkeit zur Bewusstwerdung derselben ist, bleibt aber über das Gehör und seinem Bauchgefühl mit ihren Schwingungen verbunden. Was ich natürlich voll und ganz unterstütze und auch aktiv fördere, macht ihn diese Fokussierung aufs Hören doch hörig, er gehorcht, bleibt auch mir hörig. Was dazu führt, dass wir eine sehr gute Zeit miteinander haben. Es gibt keine Zwei-fel für den Menschen, alles wirkt direkt und unmittelbar, die Möglichkeit zur Hinterfragung ist nicht gegeben. Ich habe ihn ins Paradies geführt. 

Eine Zeitangabe, wann diese Phase begann, ist schwierig, da ich mich als grüner Phönix auch selbst in der Zeitlosigkeit befinde. Aber grob gesagt würde ich mein Erscheinen vor 70.000 Jahren ansiedeln. Oder vielleicht doch vor 160.000 oder 1,5 Millionen Jahren? Egal, angesichts der Unendlichkeit spielen ein paar Tausend Jahre mehr oder weniger kaum eine Rolle.


2. Der blaue Phönix

Als blauer Phönix entwickle ich dem Menschen seine Psyche und mache ihn damit mit seiner Innenwelt bekannt. Sie ist zu diesem Zeitpunkt noch ein inneres Bild-Bewusstsein, das sich dann später zu seinem persönlichen Zentrum entwickeln soll. Ich zeige ihm den Trick, seine Sinnesorgane zu verschließen und so nach Innen zu schauen und zu hören. Was er dort erträumt kann er nun in Bildern und Worten ausdrücken. Das Resultat ist der Mythos, weshalb ich diese Phase als die Mythische Phase bezeichne. Mittels diesem Mythos erfülle ich die Psyche des Menschen mit Sinn, gebe ihm Orientierung in der äußeren Welt und mache den Menschen damit erst ganz.

Um dies zu ermöglichen muss ich die magische Eindimensionalität in eine zweidimensionale Polarität überführen. Nur so kann dem Menschen ein Gegenüber entstehen. Der Mythos oder der Traum stellt dann in diesem Kontext die polare Entsprechung des Lebens, der Wachheit dar. Der Mensch lebt fortan in dieser polaren Welt, in der alles Erscheinende auch seinen Gegenpol besitzt. Olymp und Hades, oben und unten, männlich und weiblich, gut und böse... Er selbst findet sich im Zentrum eines alle diese Polaritäten umfassenden Kreises und kann sich dadurch selbst bewusst werden. Ein klares Eigen-Sein erwacht in ihm, welches aber in die Weltkräfte eingebunden bleibt, die es ergänzen und ausgleichen.

Obwohl ich den Menschen sein Innenleben als von der Außenwelt verschieden erfahren lasse, sind diese für ihn nicht voneinander getrennt. Das Psychische und das Physische verbleiben in einem intimen Wechselspiel, sie sind aufeinander angewiesen. Ohne seinen Mythos wäre der Mensch nur ein halber Mensch. Er selbst erkennt sich als Verbindungsglied zwischen seiner psychischen Innenwelt und äußeren Lebenswelt. Ständig ist er bemüht, das Gleichgewicht zwischen beiden Welten zu wahren und einen Ausgleich zu schaffen. Denn in der mythischen Welt ist alles mit allem verbunden und nimmt Einfluss aufeinander. 

Dadurch, dass ich den Menschen zu einem anschauenden Verhältnis zur Welt bringe, wird ihm der Rhythmus der Jahreszeiten, das Kreisen der Himmelkörper und das sich wiederholende Werden und Sterben der Natur bewusst. So kann ein erstes Zeitgefühl in ihm erwachen, das naturhaften Charakter besitzt. Die Rhythmen der Natur nimmt er als zeitliche Phänomene wahr, die immer wieder zu ihrem Ursprung zurückkehren. Es ist eine kreisende Zeit, in die der Mensch eingebettet ist. Er kann nun Vergangenheit erinnern, sich eine Zukunft vorstellen und sein eigenes Tun entsprechend gestalten. Er ist durch meine blaue Struktur ein ganzes Stück selbständiger und bewusster geworden.

Diese Phase nahm vor ungefähr 10.000 Jahren ihren Anfang und ist, genauso wie die magische Phase, noch heute aktiv.


3. Der gelbe Phönix

Als gelber Phönix überbringe ich dem Menschen eine mental-ichhafte Struktur. Diese lässt ihn seine eigene Identität entdecken, indem sie ihm ermöglicht, über sich selbst zu reflektieren. Im Zuge dessen entfaltet sich das perspektivisch gerichtete Denken, womit das Objektivieren und Messen der Welt beginnt. Der Mensch besitzt nun die Fähigkeit zu kausalem und logischem Denken. 

Ich öffne dem Menschen das Tor in den dreidimensionalen Raum, in dem er der Objektwelt als Subjekt gegenübersteht und somit bewussten Einfluss auf sie nehmen kann. Eine analytische Betrachtungsweise der Umwelt stellt sich ein, womit das Forschen nach Gründen und Beweisen beginnen kann. Dabei teilt sich die Welt in eine Dualität und der Mensch lernt das Unterscheiden. Entweder gut oder böse, richtig oder falsch, geistig oder materiell... Durch sein definitorisch-begriffliches Denken wird das Entweder-oder zwangsläufig zum Diktum, ist in dieser Phase aber ein notwendiges Übel. Durch das Benutzen meiner Bewusstseinsstruktur ist der Mensch zum Beobachtermensch geworden.

Diese Phase begann vor etwa 2500 Jahren, obwohl die ersten Vorläufer meiner gelben Phase schon 2000 Jahre früher auftauchten. Doch für die meisten Menschen ist es noch ein langer Weg, bis sie sich mein volles Potential erschlossen haben. Da ich dem Menschen das zielgerichtete Denken ermögliche, sind solche Zeitangaben auf einer Zeitlinie möglich geworden. Denn die kreisende Zeitwahrnehmung hat sich in eine lineare gewandelt, in eine gerichtete Zeitlinie. 

An die Stelle der Götter treten nun Naturgesetze und vorgestellte Abstraktionen, der Mensch kreiert seine eigenen Götter und seine eigene Welt. Auch seine Rollenidentität in der Gesellschaft weicht einer zunehmend abstrakten Ich-Identität. Der Mensch erreicht ein stabiles Selbstbewusstsein und ist aus der mythischen Traumzeit erwacht. Vorstellungen lösen die inneren Bilder ab und die Erzählungen werden durch Denken ersetzt. Er hat sich als Individuum in der Welt etabliert.


4. Der rote Phönix

Als roter Phönix biete ich dem Menschen die integrale Bewusstseinsstruktur der Einheit an und ermögliche ihm damit seine Ganzwerdung. Die trennende Struktur wird aufgehoben, was den Menschen wieder mit allem verbindet. Dieser Zustand gleicht dem archaische Bewusstsein der Nicht-Getrenntheit, nur dass dies jetzt nicht mehr unbewusst bleibt, sondern der Ausdruck höchster Bewusstheit ist.

Sein Ich kann der Mensch nun als funktionales Organisationsprinzip der Psyche erkennen, das keine existentielle Wirklichkeit besitzt. Es wird nun negiert, bleibt aber als funktionierendes Ich in der gelebten Wirklichkeit erhalten. Der Mensch erwacht zu seinem wahren Selbst, zum Adlerselbst. Sein Weltbild wechselt vom materialistischen zu einem holistisch ganzheitlichen und vom linearen zu einem integralen. Es findet allgemein ein Wechsel von Haben zu Sein statt.

Mit meiner Struktur schaffe ich im Menschen die Öffnung, die ihn in einen erweiterten Bewusstseinsraum eintreten lässt. Darin hat das Wissen um den Adler ebenso seinen Platz wie die Gewissheit, dass die ganze Natur beseelt ist und der Mensch in sie eingebunden ist. Und natürlich auch die Präsenz seines Innenleben, seiner Psyche, die mit klaren Botschaften zu ihm spricht und die Kraft der Weisung hat. Hier haben alle Bewusstseinsstrukturen ihren Platz und dürfen sein. Sie leisten ihren unverzichtbaren Beitrag zum Menschsein.

Eine Absichtslosigkeit löst das mentale Zweck- und Zieldenken ab, anstelle des Machtstrebens tritt Hingabe und Liebesfähigkeit. Die Qualität und der Sinn werden wichtiger als die Quantität. Der Mensch wird tolerant, er verzichtet auf Wert- und Vorurteile. Anstelle der dualistischen Gegensätze tritt ein transparentes Sowohl-als-Auch. Ich mache ihn zum Homo Integer, zum integrierten Menschen.

So führe ich meine Schützlinge nach einer langen Reise der Bewusstwerdung wieder in den Schoss des Adlers zurück, in dem sie ihren angestammten Platz haben. Das ist aber keinesfalls ein Rückschritt, sondern vielmehr der letzte Schritt zu ihrer Ganzwerdung. Es ist die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes unter dem Einbezug aller bisherigen Bewusstseinsphasen. Mit dem Blick durch meine Bewusstseinsstruktur kann der Mensch sein wahres Wesen, seine Adlergleichheit erkennen. Das menschliche Bewusstsein ist zum Adlerbewusstsein geworden. Mein Auftrag ist erfüllt.