Grenzland Advaita

Edi Mann   Kunst & Schrift



Problemzone Gelassenheit

(Warum es für das Ich keine Gelassenheit gibt)




Einleitung

  Haben wir einen freien Willen, mittels dem wir den Kurs auf unserer Reise durchs Leben selbst bestimmen? Haben wir die Fähigkeit, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen?
  Wenn man sich diese Fragen mit „Nein“ beantwortet, dürfte eine geLASSENe Grundhaltung dem Leben gegenüber kein Problem darstellen. Die Erkenntnis, dass nichts getan werden kann, müsste automatisch zu einer solchen führen.
  Herrscht allerdings der Gedanke vor, für die eigenen Geschicke selbst verantwortlich zu sein, kann einem die auferlegte Last schnell zu schwer werden. Meist schleichend und unbewusst geht dem Leben die zugrundeliegende Leichtigkeit verloren und man sieht sich mit einer bedrückenden Schwere konfrontiert.
  Was kann getan oder was muss geLASSEN werden, um wieder in die natürliche GeLASSENheit zu kommen? Für ein gutes Beispiel und als perfekter Einstieg in das Thema LASSEN eignet sich die Entstehungsgeschichte dieses Buches:

  Edi wollte nie einen Ratgeber schreiben. Sein eigentliches Metier ist es, Geschichten zu erzählen, Geschichten über das Leben, wie es sich aus seiner Sichtweise zu erkennen gibt. Sicher fließen in diese Geschichten auch Erkenntnisse ein, die dem Einen oder Anderen als Impulse oder Ratschläge dienlich sein können. Doch grundsätzlich ist Edi nicht daran interessiert, seine individuelle Sichtweise in den Stand einer allgemeingültigen zu erheben. Es ist eine Sichtweise, wie sich das Bewusstsein durch diesen Körper-Geist-Organismus namens Edi zu erkennen gibt. Nicht besser oder schlechter und bestimmt auch nicht wahrer als all die anderen Sichtweisen, die sich durch andere Organismen zum Ausdruck bringen. Aus diesem Grund wurde der Gedanke, einen Ratgeber zu schreiben, stets als nutzloses und überflüssiges Unterfangen angesehen.
  Aber wie es so schön heißt: Erstens kommt es anders, als man zweitens meistens denkt. Dieses Buch wollte in Erscheinung treten, aus welchen Gründen auch immer. Also hat Edi es geLASSEN. Er hat von seinem anfänglichen Skeptizismus abgeLASSEN und es widerstandslos in Erscheinung kommen LASSEN. Im Grunde war es eine überwiegend geLASSENe Angelegenheit, viel zu tun hatte Edi nicht damit. Seine hauptsächliche „Arbeit“ bestand darin, zu LASSEN. Als er es hat fließen-LASSEN, ordneten sich die richtigen Worte wie von selbst. Als er die Kontrolle über ein Ergebnis hat fallen-LASSEN, stellten sich die weiterführenden Ideen von selbst ein. Als er sich auf das Projekt hat eingeLASSEN, wurde eine ausgeLASSENe Angelegenheit daraus.
  Was du als Leser daraus machst, ist deine eigene Sache. Oder auch nicht, wie es sich vielleicht im Laufe des Lesens herausstellt. Am besten wird es sein, die Worte einfach wirken-LASSEN. Dafür, dass es in die richtigen Hände kommen wird, sorgt das Universum schon selbst. Dem sieht Edi geLASSEN entgegen.


LASSEN

  Um etwas LASSEN zu können muss man der Meinung sein, etwas zu haben oder etwas zu sein. Nur, wer etwas ist oder hat, kann es auch LASSEN. Dabei kann es sich um Gewohnheiten, unliebsame Gedanken, Verhaltensmuster, Charakterzüge oder was auch immer handeln. Auch und vor allem die persönliche Geschichte gehört dazu, ist es doch allzu oft die Vergangenheit oder zumindest die daraus hervorgehenden unliebsamen Einflüsse, von denen man sich befreien will.
  Doch was ist dieses Ich, das meint, all dies zu haben? Im Grunde genommen ist es nicht mehr als das, was es meint zu sein und zu haben. Aus genau diesen Gedanken und Vorstellungen setzt es sich zusammen. Eine eigenständige Wirklichkeit besitzt das Ich nicht.
 Eine der fatalsten Eigenschaften dieses nur aus einem Gedankenkonglomerat bestehenden Ich ist das Gefühl der eigenen Wichtigkeit. Auch und vielleicht gerade weil es nur eine Illusion ist, wird es alles dafür tun, sich seine Daseinsberechtigung zu erhalten. Es muss sich permanent selbst bestätigen. Konsequenterweise hat es die Chefrolle übernommen, damit es das Geschehen unter Kontrolle behält. Sein wichtigstes Werkzeug dafür ist der Verstand, den es sich als Verbündeten ins Boot holte. Zusammen hecken die Beiden nun eine Welt aus, in der das Ich den Mittelpunkt bildet.
  Eine wirkliche Gefahr, vom Chefsessel im eigenen Haus vertrieben zu werden, besteht für das Ich kaum. Es gibt keine andere Instanz, die einen Anspruch darauf erheben wollte oder könnte. Dennoch fühlt sich das Ich permanent bedroht und gefährdet. Dies verdankt es dem Umstand, sich selbst von der Natürlichkeit abgetrennt zu haben. Durch seine Abgrenzung steht es einem Leben gegenüber, das es meistern muss. Weil es sich selbst als eigenständig sieht, sieht es auch all die anderen Organismen als eigenständig, mit denen es somit in Konkurrenz steht.
  Keine leichte Aufgabe, die sich das Ich da auferlegte. Die vermeintliche Kontrolle über sich selbst, den Organismus und das ganze Leben führt meist unweigerlich in die Krise, zu einer permanenten Anspannung, in der GeLASSENheit früher oder später zu einem heiß ersehnten Ziel wird. An diesem Punkt kommt das LASSEN ins Spiel.
  Doch von einem wirklichen LASSEN kann bei den Aktionen, die von diesem Ich ausgehen, kaum die Rede sein. Denn ein solches würde für das Ich bedeuten, weniger zu werden. Und das will es keinesfalls. Bei all seinen Bemühungen des LASSENs handelt es sich eher um einen Austausch. Wenn etwas wirklich einmal aus dem System verschwindet, wird es im Allgemeinen sofort durch etwas Neues ersetzt. Leere ist dem Ich verhasst, damit kann es nicht umgehen.

    Wenn die Person etwas lässt, ist nichts geLASSEN.
    Wenn die Person geLASSEN wird, ist alles geLASSEN.

  Diese Aussage bringt es auf den Punkt, warum das LASSEN oft solche Schwierigkeiten macht, obwohl es doch das Einfachste auf der Welt sein sollte. Der Grund dafür ist, dass das LASSEN als eine aktive Tätigkeit aufgefasst wird. Dem System, das eigentlich leichter werden will, wird durch die Bemühungen eher noch etwas hinzugefügt anstatt weggenommen. In dem dualistischen Universum, in dem das Ich zuhause ist, stehen sich das Wollen und das LASSEN diametral gegenüber. Womit ein „LASSEN-wollen“ zu einem Absurdum wird, das sich selbst eliminiert.
  Ein weiterer Punkt, der gegen die Möglichkeit eines aktiven LASSENs spricht, ist folgender: Dem, was geLASSEN werden soll, wird die Aufmerksamkeit entgegengebracht. Doch gerade die Aufmerksamkeit auf etwas ist es, das es in Erscheinung, also ins Dasein, bringt und darin festhält. Bei einem aktiven Versuch des LASSENs liegt der Fokus zwangsläufig auf dem, das eigentlich verschwinden sollte. Ein erfolgreiches LASSEN hat sich damit erledigt.

  Im Folgenden hat Edi einige teils unkonventionell erscheinende Ideen oder Gedanken zu Papier gebracht, die das so einfache und doch so kompliziert erscheinende Thema LASSEN etwas ausgiebiger beleuchten.
Doch zunächst einmal gilt die Aufmerksamkeit dem, das eigentlich erreicht werden soll:



GeLASSENheit (das Objekt der Begierde)

  Um etwas zu erreichen kann es hilfreich sein, das Objekt der Begierde zunächst genauer in Augenschein zu nehmen. In diesem Fall die GeLASSENheit. Was ist diese GeLASSENheit, nach der so viele, meist vergeblich, zu streben scheinen? Womit hat man es hier zu tun?
  Die GeLASSENheit ist ein natürlich Zustand, der dem Sein zugrunde liegt. Edi hat im Laufe seiner eigenen Bemühungen eins herausgefunden: Wenn man sich um diesen natürlichen Zustand bemüht, hat man ihn schon verloren. Wenn man nach ihm trachtet, wird er sich verbergen. Erst, wenn man ihn sein LÄSST, stellt er sich ein.
  Eine wirkliche Ge-LASSEN-heit kann man also nicht erreichen, jedoch kann sie sich einstellen. Im Prinzip ist sie ja immer da, diese dem Sein zugrundeliegende Eigenschaft, meistens nur überlagert und somit nicht wahrnehmbar. Überlagert von einer Sichtweise, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Einer Täuschung.

  Nur, wenn man LÄSST, kann sich eine dauerhafte GeLASSENheit einstellen. Durch Vermehren erreicht man höchstens eine kurzfristige Befriedigung. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um materielle Dinge, irgendwelche Ziele, Erkenntnisse oder um Wissen handelt. Es ist das Ich, das am Haben interessiert ist. Das Sein ist schon alles was ist, aus dieser grundlegenden Quelle kommt kein Haben-Wollen. Da sich das Ich abgetrennt von allem anderen fühlt, wird es immer etwas geben, das es zu erreichen sucht.
  Eine fehlende GeLASSENheit macht sich durch permanente Anspannung bemerkbar. Diese Anspannung mag zwar aufgrund von äußeren Erscheinungen auftreten, doch ist sie ein individuelles, ein inneres Phänomen. Eine Re-aktion. Der Körper-Geist-Organismus Mensch ist so etwas wie ein Re-aktor, er reagiert. Er ist eingebunden in ein allumfassendes Energiegefüge, das sich als Universum manifestiert. Dieses Universum ist einem ständigen Wandel unterworfen, einer permanenten Veränderung, und darauf reagiert der Organismus. An-spannung ist eine wichtige und notwendige Körperreaktion, wenn daraufhin auch wieder eine Ent-spannung stattfindet. Zum Problem wird eine chronische Anspannung, welche die natürliche GeLASSENheit überlagert. Dass diese chronische Anspannung von einem selbst verursacht wird, indem man alles und jeden, vor allem auch sich selbst, unter Kontrolle halten will, bemerkt man erst, wenn sich dieser Kontrollzwang verflüchtigte. Dann hat sie Raum zum erscheinen, die so dringend benötigte GeLASSENheit. 

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5. Ein-LASSEN

 Sich einLASSEN hat etwas von sich auf-lösen. Das mag der Grund sein, warum das Ich vor einem „sich-ganz-einLASSEN“ zurückschreckt. Es würde die vermeintliche Kontrolle verlieren. Als Gegenmaßnahme bringt es die Angst ins Spiel, womit es sich einen guten Grund schafft, sich nicht auf etwas einzuLASSEN. Es schließt die Tür zwischen sich und dem Leben, erzeugt so die Trennung.

 Sich ganz einLASSEN verschafft Zutritt zu dem, was wirklich ist, zur Einheit. Im Folgenden gibt es kein Drinnen und Draußen mehr. Allerdings auch keinen mehr, der drinnen oder draußen wäre. Ein absoluter Zustand, der eigentlich immer am wirken ist und vorher nur nicht erkannt wurde, hat sich eingestellt.

  Wenn man sich ganz einlässt, löst sich die Trennung auf. Die Trennung zwischen dem, der sich einlässt und dem, auf das sich eingeLASSEN wird. Bei einer Tätigkeit sieht das so aus, dass der Täter und die Tätigkeit verschmelzen. Dabei ist es völlig gleichgültig, um was für eine Art der Tätigkeit es sich handelt. „Spirituelle“ Handlungen wie Meditieren oder Beten sind nicht besser als „profane“ wie Unkraut jäten oder Fußball spielen. Wenn man sich ganz auf die Tätigkeit einlässt, verschwindet der Täter.

  Es gibt unzählige Gelegenheiten, auf die man sich einLASSEN kann. Sicher muss man nicht alle ergreifen, die sich anbieten. Vielleicht eignet sich ja ein anderer Organismus besser für diese oder jene Gelegenheit, oder sie verschwindet einfach auf der Halde der ungenutzten Gelegenheiten. Viel interessanter ist, was aus den ergriffenen Gelegenheiten wird. Wenn sie ergriffen werden, werden sie „erlebt“. Doch was ist dieses „Erleben“? Möglicherweise kann man es mit einem „Verdauen“ vergleichen. Gelegenheiten werden also ergriffen, erlebt und verdaut. Und danach? Wird das Verdauungsprodukt durch einen individuellen Abflusskanal in den alldurchdringenden und allesumfassenden Energiefluss zurückgespült. Wenn das System reibungslos funktioniert, bleiben keine Reste zurück.

  Und genau an diesem Punkt setzen die Schwierigkeiten für das Ich ein. Dieses Ich will sich nicht mit der Vergänglichkeit abfinden, es will etwas für sich zurückbehalten. Und so sammelt es die Hinterlassenschaften, welche es „Erfahrungen“ nennt, in der Abstellkammer der Erinnerungen (Gedächtnis) auf, wo diese dann noch eine Zeitlang vor sich hinrotten und im Extremfall das ganze System vergiften.

  Wenn man sich nicht ganz einLÄSST, bleibt ein Teil außen vor. Dies ist im Allgemeinen der Teil, der kontrollieren und beobachten will. Dieser Teil will etwas davon haben, auf das er sich einLÄSST. Einen Vorteil, eine gute Erinnerung oder was auch immer. Dieser Teil, der das Geschehen als etwas persönliches ansieht, ist unser altbekannte Freund das Ego, der weiterverfolgte Ich-Gedanke.

  Eine Tür nur zu öffnen oder offen zu halten reicht also nicht aus. Wenn man sich nicht ganz einLÄSST, bleibt man außen vor.

  Edis Empfehlung sieht so aus: LASSE dich ganz ein, vor welcher Tür du auch immer stehst. LASSE dich ganz ein, auf deine Tätigkeit, auf die Liebe, auf das Leben... LASSE dich ein und löse dich auf. Nur mehr Leben wird bleiben, keiner mehr der lebt, nur mehr Liebe wird bleiben, keiner mehr der liebt. 

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